André Jasch

L-O-V-E-R

L-O-V-E-R - Kurzgeschichte von André Jasch

Wir sind gerade auf irgendeinem gottverlassenen Waldweg als der schwarze Volvo unvermittelt den Geist auf gibt. Scheiße, sagt Ben und fingert am Zündschloss herum, dreht den Schlüssel erst vorsichtig und dann immer ruppiger hin und her, doch der Motor gluckert nur einmal kurz auf und ist dann mucksmäuschenstill. Wir beide wussten, dass der Punkt irgendwann kommen würde, an dem uns der Sprit ausgeht. Doch wir waren so besoffen von unserem Erfolg, der Alten den Wagen zu klauen, dass wir ganz vergessen haben, auch ein paar Münzen aus dem Messingschälchen mitgehen zu lassen, wo sie immer die Wagenschlüssel hinlegt. Nun sitzen wir hier irgendwo in der Uckermark fest. Ben sagt nochmal Scheiße, verdammte Scheiße, hämmert aufs Lenkrad ein und ich frag, wo wir sind und er sagt, keine Ahnung, vielleicht noch vierzig Kilometer bis Prenzlau. Kein Plan, wo das sein soll. Da dreht Ben sich zu mir um und so, als sähe er die Planlosigkeit in meinen Augen, sagt er, halbe Strecke bis zur Ostsee. Wir steigen aus und Ben drückt mir den kleinen Rucksack an die Brust und deutet in den Wald. Ich hab aber keinen Bock zu laufen, sag ich, und Ben sagt, hör auf zu heulen Leon, das hilft nun wirklich keinem von uns beiden weiter. Er hängt sich die schwarze Sporttasche um und dann laufen wir in den Wald hinein und drehen uns nicht einmal mehr nach dem schwarzen Volvo um. Ich stell mir vor, wie er dort auf Ewig liegen bleibt und ihn niemand findet, nicht mal die Bullen den Wagen finden und er dort einfach überwuchert wird von Farnen und dem ganzen Zeug, dass hier in der brandenburgischen Pampa so wächst und es tut mir nicht mal leid drum. Ich konnt den Wagen der Alten noch nie ausstehen, mit seinem Zigarettengeruch im Leder und den leeren Schnapsfläschen unterm Sitz und dem Mattschwarz, innen wie außen, wie ein verdammter Leichenwagen.
Wir laufen und laufen und laufen, erst den Weg entlang und irgendwann sagt Ben, komm wir nehmen 'ne Abkürzung. Ich will protestieren, will aber nicht wieder von ihm angeranzt werden, also sag ich nix, auch wenn ich's für 'ne beschissene Idee halte, weil sich die Opfer in Splatterfilmen immer genau so verlaufen, bevor irgendein Irrer sie mit der Kettensäge jagt. Ben achtet peinlich genau darauf, dass wir der Bundesstraße nicht zu nah kommen, weil er immer noch glaubt, irgendwer würde uns folgen: die Bullen, die Alte oder sonst wer. Als würde sich ernsthaft einer von denen für uns interessieren und als hätten wir nicht schon gottweißwieviele Kilometer zwischen uns und die gebracht. Irgendwann hält Ben an und sagt Pinkelpause und wir stehen mit dem Rücken zueinander, weil ich nicht will, dass er mir auf den Schwanz starrt und er mich wieder mit meinen kümmerlichen Schamhaaren aufzieht. Ich versuch meinen Namen zu pinkeln, komm aber nur bis zum O, bevor mir die Pisse ausgeht. Fast wie beim Camping, sagt Ben und zwinkert mir zu, wir beide hier draußen in der Wildnis, nur ein paar Vorräte und sonst nichts, irgendwie romantisch. Was für ein Idiot, denk ich, sag aber nix, denn ich war noch nie beim Camping und kenn Pfadfinder nur aus dem Fernsehen.
Wir laufen weiter und mir rinnt der Schweiß in die Schuhe und ich merk, wie es am Hacken scheuert und sich Blasen bilden. Gerade als ich fragen will, wo wir hinlaufen, lichtet sich der Wald und wir blicken auf die Bundesstraße und da liegt ein Hotel am Straßenrand und auf dem Schild im Vorgarten steht, dass da Zimmer frei sind. Kurz träum ich, wir hätten genug Geld, um uns ein Zimmer zu nehmen, ein bisschen verschnaufen, in einem echten Federbett liegen, Fernsehen, die Batterien wieder aufladen. Ben sieht mich an und deutet aufs Hotel. Als wir näher kommen, seh ich den Pool und er kommt mir irgendwie gar nicht echt vor. Weit und breit nix in Sicht außer Bäumen, keine Stadt, kein Dorf, nicht mal 'ne Tankstelle, aber die haben hier 'nen Pool und mir wird auf einmal klar, dass ich noch nie in einem geschwommen bin.

Das ist nur der Anfang der Geschichte »L-O-V-E-R«.

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