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André Jasch

Der Untergang Edens

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iStock/ Deborah Harwood

Der Untergang Edens begann mit Franks Tod. Mit ihm war der letzte Hüter des guten Geschmacks gestorben, dachte Oskar, als er an der Ecke mit den krummen Apfelbäumen in den Kleistweg einbog. Mit den Füßen wirbelte er kleine Staubwölkchen auf, die hinter ihm sofort wieder in sich zusammenfielen. Die Hitze lag wie ein bleiernes Tuch auf Eden und erdrückte Menschen und Pflanzen gleichermaßen. Das Atmen fiel ihm schwer. Die Luft flirrte über den Dachschindeln und der Geruch von verbranntem Kiefernharz stieg ihm in die Nase. Im Norden Oranienburgs brannten die Wälder und die Bewohner Edens waren dazu angehalten, die Fenster geschlossen zu halten. Die Löscharbeiten zogen sich in die Länge, da die Waldböden mit Weltkriegsmunition verseucht waren. Ein Dröhnen durchzog die sommerliche Stille und am Himmel konnte Oskar einen Hubschrauber erkennen, an dem ein Behälter baumelte.

Der Name Eden trug für ihn immer den Klang von heimischer Vertrautheit, doch nun sah Oskar nur, was nicht da war, sah, was fehlte und sich veränderte hatte, seit er ein Kind gewesen war. Zwar stand die alte Mosterei noch und auch die Musikwerkstatt. Doch dort, wo früher einmal die Jugendherberge gelegen hatte, standen nun Eingeschösser mit Flachdach, die so gar nicht zum Stil der alten Obstbausiedlung passten. In Eden zogen sich seit jeher Reihen aus Holzbauten in dezenten Erdfarben die Wege entlang, nur hier und da stand mal ein Fachwerkhaus dazwischen. Die Neubauten schimmerten daneben in Kobaltblau, Leuchtorange und Türkis und sahen aus, wie die beliebigen Kataloghäuser im Speckgürtel Berlins. Oskar ärgerte sich, dass die Gemeinde dem Bau zugestimmt hatte. Vermutlich aus Geldmangel. Nach der Wende war hier alles verramscht worden. Eden hatte die Bombenteppiche des zweiten Weltkriegs und auch auch die Mangelzeit des Sozialismus wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden. Doch nun ging hier alles vor die Hunde.

„Die Nazis haben's nich' kaputt jekriegt und die Sozen haben's auch nicht jeschafft. Dit beweist nun ma', dass Eden unverwüstlich is'.“ Franks Prophezeiung hatte sich Oskar ins Gedächtnis gebrannt. Aber stimmte sie denn? Frank hatte wohl einfach nicht mit dem schlechten Geschmack der Leute gerechnet. Er hatte auf dem Nachbargrundstück der Familie Freymann gewohnt, solange Oskar denken konnte. Seine Eltern stammten schon aus Eden, doch Frank war erst kurz nach der Jahrtausendwende hierher zurückgekehrt. Im Frühling Neunundachtzig hatte er spontan die Grenze an der Bornholmer Straße im Kofferraum eines minzgrünen Opel Ascona passiert – oder nach drüben jemacht, wie er stets zu sagen pflegte. Dort hatte er bei einer Boulevardzeitung auf dem Kurfürstendamm als Polizeireporter angeheuert. Oskar liebte die alten Geschichten, die Frank ihm als Kind über den Gartenzaun hinweg erzählt hatte. Wie er und seine Kollegen den Polizeifunk abhörten, um noch vor der Spurensuche am Tatort zu sein. Wie sie eine Metallkartusche in der Redaktion als Schwarzgeldkasse nutzten, um Beamte zu schmieren. Oder wie er sich mit seiner gedrungenen Statur durchs Badezimmerfenster eines Einfamilienhauses zwängte, um Fotos eines Prominenten zu schießen, der gerade in seiner Wanne an einer Überdosis Heroin verstorben war. Das schaumige Badewasser sei noch lauwarm gewesen und eine Kerze habe noch gebrannt, als er durch das Fenster gerutscht und in die Wanne auf den Toten gefallen sei.

Das ist nur der Anfang der Geschichte »Der Untergang Edens«.

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