Die Stehtische neben uns füllen sich. Sie sind alle gekommen: Verleger großer Zeitungen, namhafte Reporter und ihre Vorzeigefrauen. Ich kenne niemanden und komme mir allein vor. Um die Wahrheit ist es schlecht bestellt, sagt mein Tischnachbar. Er nickt in sich hinein und lässt eine bedeutungsschwangere Pause. Er
wartet auf meine Nachfrage, damit er sich erklären kann, aber ich tue ihm den Gefallen nicht sofort, nippe stattdessen an meinem Aperolspritz und starre auf die Plastikblume auf unserem Stehtisch. Die Leute verlieren das Vertrauen in den Journalismus, schiebt er hinterher. Und wir verlieren den Kontakt zu den Leuten. Ich
schlürfe die letzten Reste der rötlichen Flüssigkeit zwischen den Eiswürfeln weg, sehe mich ungeduldig nach der Dame vom Catering um und erspähe sie zwischen zwei Stehtischen neben mir. Sie scheint den Durst in meinem Blick zu erkennen, schenkt mir ein Lächeln, das sagt: ich eile, ich fliege, ich rette dich.
Die Leute wollen die Wahrheit nicht mehr hören, sage ich. Und wer könnte es ihnen verübeln? Die Wahrheit ist manchmal schwer zu ertragen. Ich greife nach dem verbliebenen Horsd’oeuvre auf meinem Teller und betrachte es zwischen Zeigefinger und Daumen. Die Leute wollen lieber Heldengeschichten, in denen die Wahrheit hübsch verpackt ist und nur häppchenweise präsentiert wird, sage ich.
Darf ich Sie was Persönliches fragen? Er nimmt mein Schweigen als Zeichen der Zustimmung. Warum sind Sie Journalist geworden? Sie sind ja noch jung, sagt er. Er – ein Mitfünfziger mit Hornbrille und vom Nikotin vergilbtem Schnauzer – sei ja schon ein alter Hase. Aber warum heuert ein junger Mann wie ich auf einem sinkenden Schiff an?
Anfangs wollte ich nur berichten, sage ich. Schreiben, was ist. Aufdecken und die Wahrheit ans Licht zerren. Debatten anstoßen. Doch nun reicht mir das nicht mehr, sage ich. Ich will etwas verändern. Es muss sich doch endlich mal was ändern, verdammt.
Er lächelt und in seinem väterlichen Blick schwingt etwas mit, das ich als Amüsiertheit über meine Naivität werte. Die Dame vom Catering balanciert ein Tablett mit Getränken zu unserem Stehtisch, fragt, ob die Herren noch was trinken wollen. Sie reicht ihm eine Cola und mir einen weiteren Aperolspritz. Ich zupfe am Ärmel meines schlecht sitzenden Anzugs, den ich mir eigens für diesen Abend geliehen habe. Ich komme mir verloren vor in diesem riesigen Atrium. In mir steigt mit einem Mal ein furchtbarer Fluchtinstinkt auf. Ich will weg, weit weg. Ich blicke
nach oben durch die Glasdecke und kann den wolkenverhangenen Himmel erkennen, die gleichmäßig graue Betondecke über Berlin.